In Tegel ist ein alter Airport zum ukrainischen Flüchtlingszentrum umgebaut worden. Taugt der alte Flughafen nach den Erfahrungen der vergangenen zwei Monate überhaupt zur Geflüchteten-Herberge?
Devantier: An sich ist das Flughafen-Gelände gut geeignet, um die Menschen aus der Ukraine für kurze Zeit aufzunehmen. Draußen auf dem Rollfeld im sogenannten „Bus-Hub“ können täglich bis zu 10 000 Menschen in riesigen Zelten empfangen und eine Weiterfahrt in andere Bundesländer organisiert werden. Im Hauptterminal könnten weitere 2600 Menschen übernachten, die in Berlin bleiben werden. Aktuell pendeln die Zahlen derer, die hier untergebracht werden täglich zwischen 300 bis 700 Personen. Mehr als drei Nächte Aufenthalt sind aber nicht vorgesehen. Denn es ist eine denkmalgeschützte Immobilie, wo baulich nicht viel gemacht werden kann.
Vor welchen Herausforderungen stehen Sie und Ihr Team tagtäglich?
Devantier: Es tauchen quasi täglich neue Fragen oder kleinere Herausforderungen auf, für die wir nach Lösungen suchen. Unser Malteser-Team ist sehr engagiert und überlegt permanent, was man noch verbessern kann. So kamen unsere Leute auf die Idee, einen Stand einzurichten, an dem es für einen Monat kostenlose SIM-Karten gibt. Wir haben dafür gesorgt, dass sich die Geflüchteten Mobiltelefone zum Telefonieren ausleihen können, Kinderbetten und Hochstühle organsiert. Momentan machen wir uns Gedanken darüber, wo die Menschen ihr Gepäck sicher verschließen können, wenn sie zum Beispiel mal in die Stadt wollen. Was wir unterschätzt haben ist definitiv die sprachliche Barriere: Viele Ukrainer und selbst die jungen unter ihnen sprechen kein Englisch. Zwar haben wir Sprachmittler in unserem Team, die auf Russisch und Ukrainisch übersetzen können, aber sie können natürlich auch nicht überall dabei sein, wenn unsere Mitarbeitenden im Gespräch sind mit den Geflüchteten.
Wie ist die Situation heute: Kommen immer noch so viele Menschen in Tegel an wie in den ersten Wochen?
Devantier: Es kommen zurzeit deutlich weniger Menschen in Tegel an als in den ersten Wochen. Waren es anfangs noch bis zu 2000 Geflüchtete täglich, sind es jetzt etwa 500 Menschen am Tag. Doch die Situation kann sich auch schnell wieder ändern: Noch gibt es viele Ukrainerinnen und Ukrainer, die in den direkten Nachbarländern Zuflucht gefunden haben. Wenn sich die Ströme von Geflüchteten, die momentan noch in Polen oder anderen Nachbarstaaten der Ukraine privat untergekommen sind, auf den Weg nach Deutschland machen, können es schnell wieder sehr viel mehr sein. Und dann können wir froh sein, im Ankunftszentrum gut vorbereitet zu sein auf die vielen Menschen.
„Wir sehen hier in Tegel, dass sich die Geflüchteten im wahrsten Sinne des Wortes aneinander festhalten.“
Wie geht es den Ukrainern, die in Tegel ankommen?
Devantier: Die Menschen, die hier ankommen müssen mit großer Unsicherheit leben, denn ihre eigene Zukunft ist erstmal ungewiss. Sie selbst sind zwar wieder in Deutschland in Sicherheit, aber in Gedanken bei ihren Angehörigen, die sich noch im Krieg befinden. Sie wissen nicht, ob ihre Städte zerstört sind, sorgen sich um ihr Hab und Gut. Sie haben zwar das Bedürfnis, Brücken zu bauen in das neue Land, aber gleichzeitig ihre Heimat nicht loszulassen. Wir sehen hier in Tegel, dass sich die Geflüchteten im wahrsten Sinne des Wortes aneinander festhalten. Im Flughafengebäude sind sie oft in Gruppen unterwegs: Großmütter, Mütter und ihre Kinder oder auch Freundeskonstellationen.
Die Krise prägt auch Sie persönlich und beruflich: Zwei Monate vor Eröffnung des großen „Ukraine-Ankunftszentrum TXL“ haben Sie das größte Impfzentrum Berlins für die Malteser geleitet. Von einer Krise in die nächste – welche Parallelen sehen Sie zur Impfzentrumszeit?
Devantier: Ähnlich wie in der Pandemiezeit befinden wir uns auch jetzt in einer Ausnahmesituation, in der wir als Hilfsorganisationen wieder gefordert sind, schnell und flexibel dem Staat unterstützend zur Seite zu stehen und so dazu beizutragen, den Ausnahmezustand baldmöglichst zu beenden. Dieser schnelle Aufbau von Strukturen in kürzester Zeit mit vielen neuen Mitarbeitenden erfordert vor allem eine gute Kommunikation. Das war bei den Impfzentren so und ist jetzt ähnlich. Eine weitere positive Erfahrung von damals und heute ist die erfolgreiche Zusammenarbeit der Berliner Hilfsorganisationen. Hier konnten wir schon auf bestehende Strukturen und Teams aus der Impfzentrumszeit aufbauen. Ähnlich wie beim Engagement für die Impfzentren treibt uns ein gemeinsames Ziel an: Dass der Krieg ähnlich wie die Pandemie so bald wie möglich endet.
Wer Geld spenden für die Menschen in der Ukraine und auf der Flucht kann dies direkt unter https://www.malteser.de/ukraine-hilfe tun.
Geflüchtetenhilfe in Berlin – so helfen die Malteser in Berlin:
Viele Geflüchtete aus der Ukraine erreichen Deutschland über Berlin. In der Hauptstadt sind die Malteser am Zentralen Omnibusbahnhof und im Ankunftszentrum am alten Flughafen Tegel im Einsatz, um den ankommenden Kriegsgeflüchteten zu helfen.
Ankunftszentrum im ehemaligen Flughafen Tegel
Das „Ukraine Ankunftszentrum TXL“ wurde am 20. März auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens in Berlin-Tegel eröffnet. Das zentrale Ankunftszentrum wird vom Berliner Senat und den Berliner Hilfsorganisationen betrieben. In Tegel werden in riesigen Zelten auf dem Rollfeld bis zu 10.000 Menschen täglich empfangen und eine Weiterfahrt in Unterkünfte oder andere Bundesländer organisiert. Zudem sind im Hauptterminal bis zu 2.600 Betten aufgestellt. Mehr als drei Nächte Aufenthalt Flughafen sind im Flughafengebäude nicht vorgesehen. Perspektivisch könnten mehr als 12.000 Geflüchtete täglich am TXL-Hub empfangen und in andere Orte in Deutschland weitergeleitet werden oder bei Bedarf auch vorübergehend für wenige Tage im Ankunftszentrum versorgt werden.
Die Malteser kümmern sich auf dem alten Flughafengelände um die Infopunkte und sind dort Ansprechpartner für die Ankommenden. Neben den Infopoints betreuen die Mitarbeitenden auch einen Flügel mit 350 Betten im Airport.
Erstkontaktstelle am Zentralen Omnibusbahnhof
Im Auftrag des Berliner Senats haben die Malteser am 3. März 2022 am Zentralen Omnibusbahnhof in Berlin (ZOB) eine Erstkontaktstelle für Geflüchtete errichtet. Ehrenamtliche und hauptamtliche Kräfte der Malteser sind im Schichtsystem rund um die Uhr im Einsatz, um die in Bussen ankommenden Flüchtlinge zu versorgen. Zusammen mit freiwillig organisierten Helfern, nehmen die Malteser die Geflüchteten in Empfang und versuchen ganz praktisch zu helfen.
In fünf beheizten Zelten, die die Malteser eingerichtet haben, können sich die Menschen ausruhen und aufhalten, bekommen etwas zu essen und zu trinken, bei Bedarf auch Hygieneartikel oder Kleidung. In zusätzlichen Containern gibt es Büros, Lagermöglichkeiten für die Spenden sowie eine Sanitätsstation für die medizinische Erstversorgung. Bei der Spendenausgabe sowie der Betreuung der Geflüchteten arbeiten die Malteser Hand in Hand mit den engagierten Freiwilligen vor Ort.
Die Ankunftszahlen am ZOB schwanken seit Anfang März. Waren es in den ersten Wochen bis zu 1500 Menschen, die täglich am Omnibusbahnhof am Funkturm ankamen, kamen Anfang Mai etwa 1000 Geflüchtete wöchentlich. Die Busse aus der Ukraine und aus Polen treffen überwiegend nachts und in den frühen Morgenstunden ein. Täglich, insbesondere nachts müssen die Einsatzsanitäterinnen und -sanitäter Erste Hilfe leisten.
In der Sanitätsstation, die rund um die Uhr von Einsatzsanitätern der Malteser besetzt ist, bekommen die Geflüchteten eine medizinische Erstversorgung. Die meisten sind erschöpft, übermüdet und überlastet, denn sie haben mitunter fünf Tage gebraucht, bis sie in Berlin angekommen sind. Einige Patienten haben starke Ödeme oder infizierte Wunden vom tagelangen Sitzen. Auch gibt es immer wieder Menschen, denen Medikamente fehlen, weil sie ausgegangen sind oder vergessen wurden. Es sind auch viele Kinder, die von den Einsatzsanitätern behandelt werden. Sie klagen über Kopf- und Bauchweh, weil sich das Erlebte psychosomatisch auswirkt. Viele müssen sich übergeben und haben Erkältungssymptome. Neben der physischen spielt auch die psychische Gesundheit immer wieder eine Rolle. Es gibt immer wieder Geflüchtete, die emotional sehr mitgenommen sind oder traumatisierte Kinder und Familien. Für solche Situationen gibt es eine psychosoziale Notfallversorgung, die sich um die Menschen kümmern und Übersetzer, die helfen können.