Berlin. Neukölln, im Richardkiez läuten die Kirchenglocken. Auf dem Platz, nur zwei Straßen von der Sonnenallee entfernt, spielen Kinder Fußball, eine Männergruppe steht beisammen und raucht. Gleich um die Ecke in der Braunschweiger Straße 18 öffnet Agyad Malek die Haustür der katholischen Sankt Richardgemeinde und bittet hinein. Eine Unterhaltung ist auf dem Weg durchs Treppenhaus ins Büro kaum möglich. „Immer mittags um 12 Uhr läuten die Glocken so laut, dass man sein eigenes Wort nicht versteht. Wir haben uns daran gewöhnt“, sagt der 30-Jährige und lacht.
Der in Syrien geborene Berliner arbeitet seit anderthalb Jahren als Ehrenamtskoordinator in einem der beiden Integrationszentren des Malteser Hilfsdienstes in Berlin. Am Neuköllner Standort kommen Geflüchtete und Ehrenamtliche in den von der Kirchengemeinde gemieteten Räumen zusammen. Sie treffen sich zum gemeinsamen Kochen, plaudern am Stammtisch und in der Frauenrunde, spielen Theater, verbessern ihr Deutsch im Sprachcafé und bekommen Hilfe bei der Jobsuche. Agyad Malek kümmert sich um das Herz des Begegnungszentrums: das Integrationslotsenprojekt.
Ehrenamtlich lotsen Berlinerinnen und Berliner Geflüchtete durch den Alltag
140 ehrenamtliche Integrationslotsen, auch „I-Lotsen“ genannt, lotsen Geflüchtete durch den Alltag. Das Programm der Malteser wird von der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration gefördert. Maleks Aufgabe dabei ist es, darauf zu achten, dass die Chemie stimmt zwischen den Ehrenamtlichen und ihren Integrationspartnern. Als Ehrenamtskoordinator schaut er, welche Hilfe benötigt wird und ob die Charaktere gut zusammenpassen. „Es handelt sich bei unseren Integrationspaaren immer um eine Begegnung auf Augenhöhe“, betont er. Die Geflüchteten schätzten an den Ehrenamtlichen, dass sie ein „echtes Interesse“ daran haben, Menschen aus anderen Kulturen zu begegnen und von ihnen zu lernen.
Oftmals sei der Ausgangspunkt der Menschen, die ins Integrationszentrum kommen, ein anderer, als von Geflüchteten, die gerade frisch in der Hauptstadt angekommen sind: Sie können bereits Deutsch, haben eine Wohnung und einen Job. So wie Bauingenieurin Lamis. Die 50-jährige Syrerin lebt seit fünf Jahren in Berlin, unterstützt als Stadtteilmutter in Neukölln Familien mit und ohne Migrationshintergrund. Sie scheint gut integriert. Was ihr aber trotz bester Voraussetzungen fehlt, sind Kontakte zu anderen Berlinerinnen und Berlinern. Integration braucht Zeit. Und Deutschland ist nicht überall das offenherzige Land, von dem man es erwartet. Die Integrationslotsen helfen Geflüchteten dabei, nicht am Rand stehenzubleiben. Sie bauen eine Brücke in die deutsche Gesellschaft.
Integration im Doppelpack
Auf der Suche nach dem „Perfect Match“, dem perfekten Integrationspaar, kommen nicht selten zwei Menschen zusammen, von denen man auf den ersten Blick denkt: Sie passen doch gar nicht zueinander: So wie Fauziah, 39 Jahre alt, Afghanin und gläubige Muslima. Sie bildet ein Tandem mit dem Berliner Lukas, 30, der gerade an der Uni promoviert. Sie zurückhaltend, er selbstbewusst und offen. „Fauziah spricht kaum Deutsch und Lukas hilft ihr dabei, es zu lernen. Gleichzeitig hat er ein Interesse daran, sein Persisch zu verbessern und will die afghanische Kultur kennenlernen“, sagt Malek. Umgekehrt ist Fauziah dank ihrem Integrationslotsen plötzlich mittendrin im Geschehen, etwa, wenn er sie zu Konzerten in die Philharmonie begleitet. Trotzdem sei ihr Verhältnis nicht mit einer Freundschaft zu vergleichen, eher mit einer Interessengemeinschaft, erklärt Malek.
Das Puzzlespiel zwischen den Integrationspaaren funktioniert auch deshalb, weil Menschen wie Agyad Malek ein Gespür dafür haben, was den Leuten hilft, um im neuen Leben anzukommen. Der Berliner war nach seiner Flucht vor dem Krieg in Syrien selber ein Neuankömmling in Berlin. Im Sommer 2015 floh er aus seiner Heimatstadt Damaskus. Mit einem Freund schlug er sich durch nach Berlin.
Plötzlich mittendrin
Eine Begegnung im Herbst wird er nie vergessen: Mit hunderten von Flüchtlingen harrte er in einer kalten Nacht vor dem Lageso, dem Landesamt für Gesundheit und Soziales, in Berlin-Moabit aus. Hilfe kam von Freiwilligen, die sich über soziale Netzwerke organisierten „Da liefen Leute herum, die uns mit Getränken und Snacks versorgten und ich fragte einen von ihnen auf Englisch: Warum machst Du das eigentlich?“ Der Mann, ein Bäckereiverkäufer, dessen Frühschicht in derselben Nacht begann, antwortete: „Ich will die Menschen hier unterstützen.“ Dieses ehrenamtliche Engagement beeindruckte Malek nachhaltig.
Für ihn steht seither fest: Auch er will helfen. Weil er gut Englisch sprach, übersetzte er zunächst als Freiwilliger für Amnesty International, später half er den Maltesern. Gemeinsam mit einem Freund leitete er ehrenamtlich das Projekt „Refugee Expat Exchange“ für in Berlin lebende Auswanderer, die sich aber keinen Deutschkurs leisten können. Seit anderthalb Jahren ist er nun beim Malteser Hilfsdienst angestellt, wohnt mit einer Mitbewohnerin zusammen in Neukölln, trifft Freunde. „Berlin ist meine Heimat“, sagt er. Eine Flucht braucht Mut, der Weg danach auch. Agyad Malek ist weit gekommen. Er ist plötzlich mittendrin.
Text/Bild: Diana Bade