„Warum mich für ein solches Ehrenamt bei den Maltesern entschieden habe – diese Frage begegnet mir nicht nur durch Freunde und Familie, sondern wurde mir auch von den beiden Familien gestellt, die ich bisher besucht habe. Und ganz ehrlich: Natürlich stellt man sich die Frage oft selbst, genauso wie man jede Entscheidung in seinem Leben ab und an hinterfragt, um sie gedanklich einordnen zu können.
Ich bin noch nicht so lange im Bereich der Sterbebegleitung tätig wie so manch' anderer, kann aber nach etwas mehr als einem Jahr sagen, dass ich meine eigene Antwort gefunden habe. Meine Sicht auf den Umgang mit den Herausforderungen des Lebens wurde und wird durch meine Tätigkeit stetig geprägt und ich habe das Gefühl, genau das auch in den Familien bewirken zu können. Klingt sehr allgemein, ist aber die einzige Prämisse, mit der sich die Wirkung des Ehrenamtes auf einen selbst und die Familien aus meiner Sicht beschreiben lässt.
Eine „neutrale" Person tut den Familien gut
Der erste Anstoß für meine Überlegungen zur Essenz unserer Tätigkeit kam durch meinen Vater. Er erkrankte kurz nach meiner Aufnahme des Ehrenamtes selbst schwer, und äußerte die Befürchtung, dass ich da zu tief drinstecke und ihn diese geschulte Perspektive auf schwere Erkrankungen mit potenzieller Todesfolge beschäftige. Ich kenne das ja alles schon, und habe bestimmt immer die richtigen Sprüche parat, um ihn aufzumuntern, witzelte er anfangs ironisch. Auch in meiner ersten Begleitung damals wurde ich dann mit einer ähnlichen Aussage aus anderem Blickwinkel konfrontiert. Ich „reagiere gut auf die Situation, obwohl es ja meine erste Begleitung sei“. Darüber dachte ich lange nach.
+++Aktuell sind noch Plätze frei im nächsten Ausbildungskurs für ehrenamtliche Familienbegleitung! Vor der Aufnahme ihrer Tätigkeit werden die angehenden Ehrenamtlichen in einem fünftägigen Intensivkurs auf die Begleitung von Familien mit einem schwerkranken Kind oder Elternteil vorbereitet. Anmeldung, Inhalte und Termine hier. +++
Ähnlich wie in unserer kontemporären Gesellschaft in der Schule und auf dem späteren Berufungsweg durch Diskurs versucht wird, Akzeptanz und Bewusstsein für neue Ansichten, Praktiken und Überzeugungen zu schaffen, spielt sich der Einsatz einer ehrenamtlichen Begleitperson in einer Familie ab. Es geht dabei gar nicht ausschließlich darum, was wir den Familien tun und über was wir sprechen. Im Vordergrund steht vielmehr auch, dass die Anwesenheit einer zunächst außenstehenden Person in einer zuvor geschlossenen Familie an sich schon sehr viel auslöst: Das Bewusstsein einer Veränderung und das Gefühl, nicht allein mit der Situation zu sein.
Unabhängig davon, ob es zunächst unbehaglich oder auf Anhieb erleichternd ist, einer Person derartige Nähe zur eigenen Situation anzuvertrauen, ist es einfach etwas ganz anderes als übliche Programme, die den betroffenen Familien zur Verfügung stehen. Ich merke immer wieder die Überraschung und Erleichterung der Familien darüber, dass wir nicht vor Ort sind, um „etwas zu erreichen“ oder genau bei „der einen“ Sache zu unterstützen. Diese Flexibilität, mit der wir in die Familien hineinkommen, und von der diese ausgehen können ist es, was mir an dem Ehrenamt so sehr gefällt.
Mit den Kindern Zeit zu verbringen, Eis zu essen oder auf den Spielplatz zu gehen, tut ihnen gut
In meiner ersten Begleitung bestand beispielsweise die Bitte der Mutter, die Kinder auf den sich anbahnenden Tod des Vaters vorzubereiten, indem ich ihnen mehr darüber erzähle und ein Bewusstsein für die Möglichkeit eines tödlichen Krankheitsverlaufs schaffe. Im Rahmen der folgenden Stunden führte ich intensive Gespräche mit den älteren Kindern und malte mit der sechsjährigen Tochter zusammen ein Bild. In den Gesprächen mit dem älteren Mädchen konnte ich mich als Basis auf einige Techniken und spielerischen Herangehensweisen aus der Maltester Schulung und aus unseren Supervisionen verlassen. Im Umgang mit der Kleinen ließ ich mich allerdings gänzlich von ihren Eindrücken und Ideen leiten. So kam sie selbst darauf, ihre Gedanken zu verbildlichen und malte ein Bild mit allen Dingen, die sie an ihrem Vater liebt, und die niemand je vergessen sollte. Mich beanspruchte sie dabei als passiven Zuhörer. Das war für mich ein schöner und erinnerungswürdiger Moment. Ihr Vater lag dabei neben uns auf dem Sofa und hörte ihr dabei zu, wie sie über die zahlreichen schönen Momente und positiven Eigenschaften sprach. Ich habe mich in dem Moment so gefühlt als würde mich gerade niemand wahrnehmen, aber trotzdem so, als würde ich gerade dort hingehören.
In meiner aktuellen Begleitung laufe ich einem Dreijährigen auf dem Spielplatz hinterher, höre mir an, wie er den Kleidungsstil der vorbeilaufenden Menschen bewertet und übe mit ihm die besten Trickschüsse. Ich merke immer, dass ihm die Zeit sehr guttut, und er so für einen kurzen Moment ungeteilte Aufmerksamkeit beanspruchen darf. Auch in dieser Begleitung fühle ich mich so, als wäre ich an der richtigen Stelle.
Anpassungsfähigkeit – oder viel mehr Offenheit – sind das, was unser Ehrenamt fordert und fördert. Ob wir zwei Stunden im Sandkasten spielen und ein Eis essen gehen oder in derselben Zeit intensive Gespräche über Gedanken, Wünsche und Probleme sprechen, wir sind einfach da. Dieses Bewusstsein über die Wirkung des einfachen „Daseins“ geht im Alltag oft unter und hat mir geholfen eine Offenheit zu entwickeln, die mir nun auch in privaten Situationen positiv auffällt."